2017 fehlen im Kreis 1270 Wohnungen

18. Juni 2012
Pressespiegel

Pestel-Institut fordert mehr Unterstützung vom Bund / Mattfeldt: Balance zwischen Miete und Eigentum ist nötig
Im Landkreis Osterholz werden in wenigen Jahren 1270 Mietwohnungen fehlen; das hat eine Studie ergeben, die unter anderem vom Mieterbund in Auftrag gegeben wurde. Da die Forscher Handlungsbedarf und Versäumnisse auf Bundesebene erkennen, haben wir die hiesigen Abgeordneten von CDU und Linkspartei um eine Einschätzung gebeten.
VON BERNHARD KOMESKER
Landkreis Osterholz. Die Zahlen sind alarmierend, die das Pestel-Institut da für den Landkreis Osterholz zusammengetragen hat. In einer Studie zum Mietwohnungsmarkt sagen die Forscher aus Hannover ein Neubau-Defizit von 1270 Wohnungen bis zum Jahr 2017 voraus, wenn das Bautempo nicht deutlich zulege. Der Bund müsse dafür bessere Rahmenbedingungen schaffen.
In die Berechnungen eingeflossen sind unter anderem die Angebotsentwicklung seit dem Jahr 2000 sowie Nachfrageprognosen auf der Grundlage der demografischen Entwicklung. Die deutschlandweite Untersuchung ergibt auch für den Landkreis Osterholz ein auf absehbare Zeit zu geringes Angebot.
Auftraggeber der Studie sind der Deutsche Mieterbund, die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar und Umwelt (IG Bau) sowie Bundesverbände der Baustoffhersteller und -händler. Sie fordern Kommunen, Bund und Länder zum Handeln auf, wobei die Vorgaben der Bundespolitik im Zentrum der Kritik stehen. „Es war einfach zu unattraktiv, Mietwohnungen zu bauen“, erklärt Institutsleiter Matthias Günther. Der Anteil neuer Wohnungen habe im vergangenen Jahrzehnt kaum ein Prozent des Gesamtbestands ausgemacht.
 

Nun kämen immer mehr Immobilien in die Jahre. Im Landkreis Osterholz seien 43 Prozent der Wohnungen 40 Jahre und älter, viele stammten aus den Nachkriegsjahren und seien „weit von dem entfernt, was heute Standard ist: beim Energieverbrauch, bei der altersgerechten, barrierearmen Ausstattung und beim Grundriss“, so der Leiter der Studie. Er schlussfolgert, dass die staatliche Wohnungsbauförderung nicht genügend Anreize setze. Dabei werde übersehen, dass die Geburtenzahl zwar sinke, die Zahl der potenziellen Mieter im Erwachsenenalter aber noch einige Jahre lang weiter ansteigen werde.
Neben vermehrten Eigen-Anstrengungen im Sozialen Wohnungsbau stehen steuerliche Vergünstigungen für Bauherren oben auf dem Forderungskatalog, der sich aus der Studie ableitet. Wer Mietwohnungen baue, sollte diese binnen 25 Jahren linear abschreiben können, und nicht, wie bisher innerhalb von 50 Jahren. Begründung: Viele Elemente eines Neubaus wie Anstrich oder Heizung hielten keine fünf Jahrzehnte.
Daneben solle der Staat mehr Sozialwohnungen neu bauen oder bauen lassen und so für bezahlbaren Wohnraum sorgen. Der Bund müsse den Ländern dafür mehr Mittel zur Verfügung stellen; diese müssten ihrerseits garantieren, das Geld auch in den Wohnungsbau zu stecken und durch eigene Mittel aufzustocken.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt sieht die Wohnungsbau-Initiative kritisch. „Ich kenne die Studie im einzelnen nicht“, räumte Mattfeldt auf Nachfrage ein. Es sei aber unübersehbar, dass sie „mit einer bestimmten Interessenlage ins Leben gerufen“ worden sei. „Es gibt auch andere Studien“, so der Christdemokrat, der daraus nun aber nicht den völligen Rückzug des Staates ableitet.
Mattfeldt betonte, der Bund habe die Mittel für den sozialen Wohnungsbau im Zuge der Föderalismusreform erhöht und nicht etwa zurückgefahren. In diesem und im nächsten Jahr würden den Länder jeweils gut 518 Millionen Euro bereitgestellt. „Das eigentliche Problem ist, dass viele Länder den sozialen Wohnungsbau leider weitgehend eingestellt haben.“ Neben den Ländern sieht Mattfeldt auch die Kommunen in der Verantwortung, die ja ihrerseits über die Bebauungspläne durchaus auch Einfluss nehmen könnten.
Das Beispiel Osterholz-Scharmbeck zeige, dass staatliche Förderung zweifelsohne nötig sei, wobei es im Bereich Drosselstraße/Mozartstraße „auch leidvolle Erfahrungen“ gebe. Es komme darauf an, die Entwicklung gerade auch dieses Quartiers „in vernünftigen Bahnen zu lenken“. Nötig sei generell eine Balance zwischen Miete und Eigentum, staatlicher Förderung und eigener Initiative. Insofern gebe es neben der Gefahr, dass der Staat zu wenig zu tut, durchaus auch das Risiko, dass sich die öffentliche Hand übermäßig engagiere.
Herbert Behrens (Die Linke) sieht das etwas anders: „Wenn der Markt versagt, muss die öffentliche Hand einspringen; das darf man nicht der Kassenlage der Länder und Kommunen überlassen.“ Die Zahlen der Studie, die er durchaus für glaubwürdig und aussagekräftig halte, hätten ihn schon überrascht, so Behrens weiter. Er sehe sich in der Forderung bestärkt, dass die Bundeszuschüsse auch über 2013 hinaus gewährt werden müssen. Hintergrund: Über die Förderperiode 2014 bis 2019 wird in Berlin noch verhandelt.
Weiter sagte der Abgeordnete der Linkspartei, die Kreisstadt hätte sich vor ein paar Jahren nicht von ihren letzten Immobilien trennen dürfen. Nun seien die kommunalen Einflussmöglichkeiten „relativ bescheiden“, speziell die Lage an der Mozartstraße „nicht sonderlich attraktiv, um nicht zu sagen desolat“, so Behrens.
Dort sei zu besichtigen, dass sich die Privatisierung nicht bewähre – im Gegenteil. Die Gagfah-Gruppe sei gefordert, sich mehr um ihre Häuser in der Kreisstadt zu kümmern und das Umfeld verbessern. Zugleich müsse es der Stadtplanung gelingen, „eine Bebauung hinzubekommen, mit der das Viertel insgesamt interessanter wird“. Dazu zähle auch altersgerechter Wohnraum.
Obendrein müssten alternative Geschäftsmodelle erprobt werden. Behrens hat sich, wie er sagt, gerade in die Genossenschaft „TLGFairwohnen“ eingekauft, die mitbieten will, wenn demnächst die bundeseigene Treuhand-Nachfolgerin steht. Ihr gehören zahlreiche ostdeutsche Gewerbeimmobilien sowie circa 11 500 Wohneinheiten unter anderem im Umland von Berlin und in Dresden

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 18.06.2012