Bundestagswahl – Reformplan in der Kritik
Was eine mögliche Veränderung der Bundestagswahlkreise
für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet
Welche Folgen hätte der Vorschlag für die Region?
Der bisherige Bundestagswahlkreis 34 (Osterholz-Verden) würde gestrichen werden und in drei anderen Wahlkreisen aufgehen. Der Landkreis Osterholz soll künftig zusammen mit dem Landkreis Cuxhaven einen neuen Wahlkreis bilden. Einen solchen Zuschnitt gab es auch schon mal in den beiden Wahlperioden zwischen 2002 und 2009.
Die Stadt Verden sowie die Gemeinde Kirchlinteln und der Flecken Langwedel sollen dem Nachbarwahlkreis Rotenburg-Heidekreis zugeschlagen werden. Achim, Thedinghausen, Oyten, Ottersberg und Dörverden sollen zusammen mit dem Landkreis Nienburg sowie den Ortschaften Syke, Weyhe, Bruchhausen-Vilsen, Sulingen, Siedenburg und Kirchdorf und (alle Kreis Diepholz) zu einem neuen Wahlkreis zusammengefasst werden.
Vom Landkreis Rotenburg (Wümme) sollen die Samtgemeinden Tarmstedt, Geestequelle, Selsingen, Zeven, Sittensen, die Gemeinde Gnarrenburg und die Stadt Bremervörde zusammen mit dem Landkreis Stade den neuen Wahlkreis Stade-Rotenburg I bilden.
Welche Folgen hat das für die Bürger?
Sie müssten sich wohl auf neue Kandidaten einstellen, die nicht unbedingt aus der direkten Nachbarschaft kommen. So könnte der künftige Wahlkreisabgeordnete für Lilienthal, Grasberg und Worpswede aus Cuxhaven kommen.
Seit 2009 bilden die Kreise Verden und Osterholz einen Wahlkreis, wobei der Kreis Verden mit etwa 138.500 Einwohnern etwas größer ist als der Osterholzer Nachbar (circa 115.100 Einwohner). Seit 2009 ist Andreas Mattfeldt (CDU) der Träger des Direktmandats für diesen Wahlkreis.
Auch andernorts könnten sich die Kräfteverhältnisse ändern. So würden im neuen Wahlkreis 35 Rotenburg I-Heidekreis-Verden I die Kreis-Verdener nur knapp 20 Prozent der Bevölkerung stellen. Wer eine Chance auf das Direktmandat haben will, bräuchte die Stimmen aus dem Heidekreis und aus dem Raum Rotenburg.
Etwas anders sähe es im neuen Wahlkreis 40 Nienburg-Verden II-Diepholz II aus: Dort läge der Anteil von Kreis-Verdener Bürgern mit rund 28 Prozent höher. Er bliebe aber die kleinste Gruppe. Der Kreis Nienburg kommt auf etwa 121.400 Einwohner, die Kommunen aus dem Kreis Diepholz auf 97.800. In Achim, Oyten, Ottersberg, Thedinghausen und Dörverden leben etwa 86.300 Menschen.
Was sagen die Parteien?
Von der CDU kommt deutliche Kritik. Mattfeldt spricht vom „Auseinanderschneiden unserer Heimat“. Historisch gewachsene Strukturen würden so total ignoriert und insbesondere die Landkreise an Weser und Aller benachteiligt, sagt der Bundestagsabgeordnete. Die stellvertretende Osterholzer CDU-Kreisvorsitzende Marie Jordan äußert sich ähnlich: „Als Wahlkreis sind wir sehr homogen und gemeinsam im Bremer Umland angesiedelt. Mit Cuxhaven haben wir Osterholzer viel weniger bis keine Schnittmengen“, sagt sie. Daher haben sich die Spitzen der drei CDU-Kreisverbände Osterholz, Verden und auf einen Alternativvorschlag verständigt. Sie schlagen vor, den Wahlkreis Osterholz-Verden zu erhalten und um den südlichen Teil des Kreises Rotenburgs zu ergänzen. Die SPD-Abgeordneten Daniel Schneider (Wahlkreis Cuxhaven) und Marja-Liisa Völlers (Wahlkreis Nienburg-Schaumburg) sehen es gelassener. Allerdings räumt Völlers ein, dass sie in einer Vergrößerung der Bundestagswahlkreise eine Gefahr für die Beziehung zwischen den Bürgern und ihren Bundestagsabgeordneten sehe. „Es droht meiner Meinung nach der Verlust des engen Kontakts und des stetigen Austauschs.“
Warum müssen die Wahlkreise neu eingeteilt werden?
Laut Bundeswahlgesetz darf die Bevölkerungszahl in den einzelnen Gebieten nicht mehr als 15 Prozent vom Durchschnitt abweichen. Wenn die Einwohnerzahl steigt oder sinkt, sind Korrekturen notwendig. In diesem Fall geht es jedoch um mehr: Der Bundestag hat den Auftrag, das Parlament zu verkleinern. Dazu soll für die Bundestagswahl 2025 die Zahl der Wahlkreise reduziert werden. Zwei der Streichkandidaten müssen aus Niedersachsen kommen. Konkrete Vorschläge erarbeiten 13 Abgeordnete und 13 Sachverständige in der vom Bundestag eingesetzten Kommission zur Reform des Wahlrechts. Die Innenministerien der Länder arbeiten dieser Gruppe zu.
Warum trifft es ausgerechnet den Wahlkreis Osterholz-Verden?
Schuld daran haben offenbar die Nachbarn. Im Vorschlag des Innenministeriums heißt es zwar, dass es „im Sinne der Wahlrechtsgleichheit“ grundsätzlich richtig sei, zunächst sämtliche Wahlkreise in den Blick zu nehmen, deren Bevölkerungszahl um mehr als 15 Prozent nach oben oder unten abweiche. Das trifft auf sieben der 30 niedersächsischen Wahlkreise zu, Osterholz-Verden zählt nicht dazu. Doch das Innenministerium weist darauf hin, dass „die aufgrund der Auflösung eines Wahlkreises erforderliche Neuzuordnung von Kommunen auf umliegende Wahlkreise“ voraussetze, „dass auch diese unterdurchschnittliche Bevölkerungszahlen aufweisen“. Das sei naturgemäß nicht immer der Fall.
Welche Rolle spielen die Landkreisgrenzen?
Das Innenministerium weist in seinen Ausführungen darauf hin, dass „Landkreisgrenzen möglichst berücksichtigt werden sollen“, wobei die Betonung auf „möglichst“ liegt. Der Verfasser schreibt: „Nachteilig an der modifizierten Neueinteilung ist zweifellos die Tatsache, dass zwei Landkreise (Diepholz und Verden) durch Wahlkreisgrenzen durchschnitten werden.
Wo liegt dann der Vorteil dieser Variante?
Andere Wahlkreise könnten dadurch erhalten werden, heißt es. Das Innenministerium nennt konkret Cloppenburg-Vechta, Oldenburg-Ammerland, Osnabrück-Land und Osnabrück-Stadt. Das sei vorteilhaft „im Sinne einer anzustrebenden Wahlkreiskontinuität“. Daher hält die Behörde die vor allem für den Landkreis Verden entstehenden Nachteile für hinnehmbar.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Kommission zur Reform des Wahlrechts setzt ihre Beratungen fort. Ihren Bericht muss die Kommission bis Januar 2023 dem Bundesinnenministerium vorlegen. Über Änderungen der Wahlkreiseinteilung entscheidet dann der Bundestag. Dabei ist nicht klar, dass das Parlament überhaupt über das Streichen einzelner Wahlkreise befinden wird. Denn zeitgleich befasst sich die Kommission mit einer weitergehenden Reform des Wahlrechts. Für den Vorschlag, die 598 Mandate im Bundestag ausschließlich über die Mehrheitsverhältnisse der Zweitstimmen zu geben, stimmten im August 16 der 26 Kommissionsmitglieder. Die Zahl der Abgeordneten würde damit deutlich reduziert, weil es keine Überhangmandate mehr gäbe. Das hätte aber zur Folge, dass die Mehrheit der Erststimmen nicht länger automatisch einen Sitz im Bundestag bedeutet. Unklar ist bislang, wie bei diesem Vorschlag die Repräsentanz aller Wahlkreise im Parlament sichergestellt werden könnte, und was für Kandidaten gilt, deren Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist.