Wahlkreis bleibt erhalten
Stimmen zur Wahlrechtsreform
„Bei uns laufen einige jetzt Amok“
Was die heimischen Bundestagsabgeordneten Andreas Mattfeldt und Gero Hocker zur Wahlrechtsreform sagen
Zufrieden äußert sich Gero Hocker (FDP). Er ist ebenfalls als Direktkandidat im Wahlkreis 34 angetreten und über die Landesliste in den Bundestag eingezogen. „Der XXL-Bundestag muss verlässlich und dauerhaft kleiner werden, das schulden wir den Bürgern, und das war eines unserer zentralen Wahlversprechen“, sagt der Achimer. Für ihn ist die Wahlrechtsreform „eine gerechte Lösung“, bei der die Fraktionen proportional gleich reduziert würden. „Niemand wird bevorzugt oder benachteiligt.“ Die Reform sei ein wichtiger Schritt hin zu einem schlankeren Staat und ein wichtiges Zeichen für die Funktionsfähigkeit und das Vertrauen in unsere Demokratie, sagt der 47-Jährige. Also stimmte er am späten Freitagvormittag mit „Ja“.
Anders Mattfeldt hatte anderweitig Termine und nahm an der Abstimmung gar nicht teil. Als Oppositionspolitiker findet er natürlich nicht so positive Worte für die Reform wie Hocker. Doch die Empörung einiger Unionskollegen teilt er auch nicht. „Bei uns laufen einige jetzt Amok“, sagt er. „Insbesondere bei der CSU.“ Zwar meint auch Mattfeldt, dass der Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel zum Problem werden könnte, vor allem für die bayerischen Kollegen. Allerdings hätte die CSU bis zum Regierungswechsel 2021 die Chance gehabt, selbst eine Reform des Wahlrechts auf den Weg zu bringen, meint Mattfeldt. „Das gehört auch zur Wahrheit.“
Die Grundmandatsklausel sicherte bislang Parteien, die bei einer Bundestagswahl weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhielten, aber mindestens drei Direktmandate holten, zu, dass sie bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten berücksichtigt werden. Im aktuellen Bundestag greift diese Regel bei den Linken. Die Partei ist mit 39 Abgeordneten im Bundestag vertreten, obwohl sie nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen holte und drei Wahlkreise gewann.
Nach der nun mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP verabschiedeten Wahlrechtsreform wäre die Linke mit diesem Ergebnis gar nicht mehr im Parlament vertreten. Und das wiederum macht die CSU nervös, die bei der jüngsten Bundestagswahl kaum besser abschnitt. Sie kam deutschlandweit auf einen Stimmanteil von 5,2 Prozent. Eine Unionsfraktion im Bundestag ohne die CSU? Das fände auch Mattfeldt schräg.
Um seinen eigenes Mandat macht sich der 53-Jährige aus Langwedel indes keine Sorgen. Er hat es durchgerechnet: Auch nach dem am Freitag beschlossenen neuen Wahlrecht wäre Mattfeldt 2021 als Direktkandidat für Osterholz und Verden in den Bundestag eingezogen. Genau wie 2017, 2013 und 2009.
Die mit der Wahlrechtsreform beschlossene Regel, wonach jedes Direktmandat durch den Zweitstimmenanteil der jeweiligen Partei abgesichert sein muss, hat demnach keine Folgen für Mattfeldt und den Wahlkreis Osterholz-Verden. „Das betrifft uns in Niedersachsen nicht“, sagt der Abgeordnete. Die Konsequenzen der Wahlrechtsänderung bekommen nach Angaben des 53-Jährigen nur die Wahlkreise in Bayern und Baden-Württemberg zu spüren, wo die Kandidaten von CDU und CSU traditionell besonders gut abschneiden.
Der von Vertretern der Union und Linken angekündigten Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht sieht der FDP-Abgeordnete Hocker gelassen entgegen. „Sollten andere Parteien rechtliche Bedenken haben, gehört die Prüfung dieser zur Stärke unseres Rechtsstaates dazu“, sagt er. Mattfeldt hingegen befürchtet, dass auch die Zerschlagung seines Wahlkreises wieder ein Thema werden könnte, sollte das Bundesverfassungsgericht die Bedenken der Kritiker an der Reform teilen.
VN 18.03.2023