Kreistag sichert millionenschwere Defizite dauerhaft in denkwürdiger Sitzung ab

24. Juni 2024
Pressespiegel

Kliniken unter Generalschutz

VON HEINRICH KRACKE

Verden – Mal sind es 16 Millionen, mal 20 Millionen, und zuletzt hat es die gesamte Kreiskasse in die Miesen gerissen. Das Defizit der Aller-Weser-Kliniken mit Standorten in Verden und Achim. Nachdem bisher jedes Jahr einzeln über Zuschüsse abgestimmt werden musste, stellte der Kreistag die beiden Krankenhäuser am Freitag unter Generalschutz. In einer denkwürdigen Sitzung votierte die Politik einstimmig quer durch alle Fraktionen für eine sogenannte Patronatserklärung, die zunächst bis Ende 2026 gilt. Einher ging die Entscheidung mit einem politischen Schlagabtausch.

Landrat Peter Bohlmann wertete das Votum als alternativlos. „Am Horizont zeichnen sich keinerlei Signale ab, die auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage hindeuten. Mit dem Patronat geben wir den Kliniken Rückendeckung und Planungssicherheit.“ Und Verden sei kein Einzelfall. „Die 47 Landkreise in Niedersachsen haben vergangenes Jahr 586 Millionen Euro in die stationäre Versorgung gepumpt. Wir haben es hier mit einem Branchenproblem zu tun.“

Zustimmung zu dieser Entscheidung kam aus berufenem Munde. Der Kirchwalseder Allgemeinmediziner Volkhard Schwinge mit einem Einzugsbereich in östlichen Teilen der Gemeinde Kirchlinteln saß auf der Zuhörerempore. In der Einwohnerfragestunde am Ende der Sitzung hoffte er nicht auf Antworten, er gab selbst welche. „Mit diesem Votum hat sich der Kreis für einen flächendeckenden Erhalt der Gesundheitsversorgung ausgesprochen. Das ist der richtige Weg“, sagte er.

Den vorangegangenen Schlagabtausch hatte die neue CDU-Fraktionschefin Hella Bachmann eingeleitet. „Unsere Kliniken sind ein Notfall. Aber wenn wir die 112 in Hannover oder Berlin anrufen, nimmt niemand den Hörer ab.“ Ein Seitenhieb auf die Ampel im Bund und Rotgrün im Land. Und Bachmann legte nach. Zwölfprozentige Kostensteigerungen in den Aller-Weser-Kliniken, aber der Bund übernehme nur fünf Prozent, das gehe einfach nicht.

Dörte Liebetruth (SPD), selbst Landtagsabgeordnete, wandte sich gegen die Pauschalierungen. „Nur die Krankenhaus-Planung ist Sache der Länder. Und da hat Niedersachsen mit einem Zuschuss von 42,7 Millionen für den Verdener Neubau einen guten Job gemacht“, sagt sie. Sie gehe davon aus, der Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt (CDU) setze sich mit anderen Abgeordneten für das Auskommen der Krankenhäuser ein.

Noch einen Schritt weiter ging Lennart Quiring (Grüne). Ultimativ forderte er Mattfeldt auf, seinen Einfluss in Berlin geltend zu machen. Der Gescholtene, selbst Kreistagsmitglied, reagierte prompt. An Quiring gerichtet erklärte der MdB: „Wir haben andere Mehrheiten im Bundestag, wie Sie wissen. Meine Anträge werden von Ihren Abgeordneten abgelehnt. Wenden Sie sich bitte an Ihre Abgeordneten.“

Zuvor hatte SPD-Fraktionschef Heiko Oetjen die Bedeutung der Aller-Weser-Klinik für die Region dargelegt. „Die AWK sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und ein unverzichtbarer Pfeiler unserer Gemeinschaft.“ 924 Beschäftigte gehen, so Oetjen, in den zwei Standorten ihrem Dienst nach, mehr als 14 000 Fälle würden pro Jahr behandelt. Gut funktionierende Krankenhäuser erhöhten die Attraktivität der Region.

Allerdings ist das Defizit von 20 Millionen im vergangenen Jahr und 24 Millionen im laufenden noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. In weiteren neun Tagesordnungspunkten zum Thema Klinik ging es unter anderem um die millionenschweren weiteren Baukosten in den nächsten Jahren. Zwar hat auch diesmal das Land zweistellige Förderungen in Aussicht gestellt, Kreis und Kommunen werden sich aber ebenfalls beteiligen müssen. Allein für den ersten Schritt in Achim und Verden sollen die beiden Stadtkassen mit mehr als anderthalb Millionen angezapft werden. Noch nahmen die Abgeordneten diese und weitere Zahlen nur „informell“ zur Kenntnis. Nicht lange hin, dann kommen sie auf den Tisch.

Verdener Aller-Zeitung vom 22.06.2024